Die Diagnose ADHS bei Ihrem Kind kann viele Emotionen auslösen – von Erleichterung über endlich eine Erklärung zu haben bis hin zu Sorgen über die Zukunft. Dieser Ratgeber soll Ihnen als Eltern konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzeigen und Sie bei den ersten Schritten nach der Diagnose unterstützen.
Erste Reaktionen: Nehmen Sie sich Zeit
Eine ADHS-Diagnose wirft häufig viele Fragen auf und kann unterschiedliche Gefühle hervorrufen. Diese Reaktionen sind normal und Teil des Verarbeitungsprozesses.
Eigene Emotionen verstehen und akzeptieren
Viele Eltern erleben nach der Diagnose ihres Kindes einen emotionalen Prozess, der verschiedene Phasen durchläuft:
- Erleichterung: Endlich gibt es eine Erklärung für die Schwierigkeiten
- Unsicherheit: Was bedeutet die Diagnose für die Zukunft meines Kindes?
- Selbstzweifel: Habe ich als Elternteil etwas falsch gemacht?
- Sorge: Wird mein Kind in der Schule zurechtkommen?
- Akzeptanz: ADHS ist ein Teil meines Kindes, aber definiert es nicht vollständig
Geben Sie sich selbst Zeit, diese Gefühle zu verarbeiten. Sprechen Sie mit vertrauten Personen oder schliessen Sie sich einer Elterngruppe an, um Ihre Gedanken zu teilen.
Mit Ihrem Kind über die Diagnose sprechen
Erklären Sie Ihrem Kind altersgerecht, was ADHS bedeutet. Betonen Sie dabei:
- ADHS ist keine Krankheit, sondern eine andere Art, wie das Gehirn arbeitet
- Es gibt viele erfolgreiche Menschen mit ADHS
- Die Diagnose hilft dabei, passende Unterstützung zu finden
- Die besonderen Stärken, die mit ADHS einhergehen können (Kreativität, Energie, Begeisterungsfähigkeit)
Vermeiden Sie negative Begriffe wie “Störung” oder “Defizit” und sprechen Sie stattdessen von “Besonderheiten” oder “unterschiedlichen Lernstilen”.
Informieren Sie sich gründlich
Fundiertes Wissen über ADHS ist der Schlüssel, um Ihr Kind optimal zu unterstützen und mit Fachleuten auf Augenhöhe zu kommunizieren.
Vertrauenswürdige Informationsquellen
Nicht alle Informationen über ADHS im Internet sind wissenschaftlich fundiert. Verlässliche Quellen sind:
- Fachbücher von anerkannten Experten
- Informationsmaterial von medizinischen Fachgesellschaften
- Webseiten spezialisierter Kliniken und Universitäten
- Selbsthilfeorganisationen wie ADHS Deutschland e.V.
Unterschiedliche Perspektiven kennenlernen
ADHS wird aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet:
- Medizinisches Modell: Fokus auf neurologische Aspekte und Behandlungsmöglichkeiten
- Psychologisches Modell: Betrachtung der Auswirkungen auf Verhalten und emotionale Entwicklung
- Pädagogisches Modell: Konzentration auf Lernstrategien und schulische Unterstützung
- Stärkenorientierter Ansatz: Betonung der positiven Aspekte und besonderen Fähigkeiten
Eine umfassende Betrachtung berücksichtigt alle diese Perspektiven.
Unterstützungsnetzwerk aufbauen
Die Begleitung eines Kindes mit ADHS erfordert Energie und Ressourcen. Ein starkes Unterstützungsnetzwerk ist daher unverzichtbar.
Professionelle Unterstützung finden
Je nach individuellen Bedürfnissen Ihres Kindes können verschiedene Fachleute wichtige Ansprechpartner sein:
- Kinder- und Jugendpsychiater/in für medizinische Betreuung
- Psychologe/in für verhaltenstherapeutische Interventionen
- Ergotherapeut/in für Verbesserung der Alltagsbewältigung
- Spezialisierte Lerncoaches für schulische Unterstützung
- Familientherapeut/in für Beratung des gesamten Familiensystems
Austausch mit anderen betroffenen Eltern
Der Kontakt zu anderen Eltern von Kindern mit ADHS kann sehr wertvoll sein:
- Elternselbsthilfegruppen bieten emotionale Unterstützung und praktische Tipps
- Online-Foren ermöglichen niederschwelligen Austausch
- Eltern-Workshops vermitteln spezifische Strategien für den Familienalltag
Alltagsstrategien entwickeln
Ein gut strukturierter Alltag mit klaren Routinen bietet Kindern mit ADHS die nötige Orientierung.
Struktur und Vorhersehbarkeit schaffen
- Erstellen Sie gemeinsam mit Ihrem Kind einen visuellen Tagesplan
- Halten Sie regelmässige Zeiten für Mahlzeiten, Hausaufgaben und Schlafenszeiten ein
- Kündigen Sie Übergänge und Veränderungen frühzeitig an
- Nutzen Sie Timer oder spezielle Uhren zur Visualisierung von Zeitspannen
Erfolgreiche Kommunikation
Die Kommunikation mit Kindern mit ADHS erfordert besondere Aufmerksamkeit:
- Stellen Sie Blickkontakt her, bevor Sie wichtige Informationen mitteilen
- Geben Sie kurze, klare Anweisungen (eine Aufgabe pro Anweisung)
- Lassen Sie Ihr Kind wichtige Informationen wiederholen
- Verstärken Sie verbale Mitteilungen durch visuelle Hinweise
Schule und Bildung
Die Schule stellt für viele Kinder mit ADHS eine besondere Herausforderung dar. Eine gute Zusammenarbeit mit Lehrkräften ist entscheidend.
Gespräch mit der Schule suchen
Informieren Sie Lehrkräfte über die Diagnose und arbeiten Sie gemeinsam an Unterstützungsmöglichkeiten:
- Vereinbaren Sie zeitnah ein Gespräch mit der Klassenlehrkraft
- Bringen Sie Informationsmaterial für Lehrkräfte mit
- Erläutern Sie die spezifischen Herausforderungen Ihres Kindes
- Fragen Sie nach schulischen Unterstützungsmöglichkeiten (Nachteilsausgleich)
- Vereinbaren Sie regelmässige Folgegespräche zur Abstimmung
Gezielte Lernunterstützung
- Professionelles Lerncoaching kann effektive Lernstrategien vermitteln
- Hausaufgabenbetreuung durch speziell geschulte Fachkräfte entlastet die Familiensituation
- Digitale Lernhilfen können die Organisation und Strukturierung unterstützen
Behandlungsoptionen abwägen
Es gibt verschiedene Ansätze zur Behandlung von ADHS. Oft ist eine Kombination mehrerer Methoden am wirksamsten.
Multimodale Therapie verstehen
Die multimodale Therapie umfasst verschiedene Bausteine:
- Psychoedukation: Aufklärung über ADHS für Kind und Familie
- Verhaltenstherapie: Erlernen von Selbstregulationsstrategien
- Elterntraining: Vermittlung wirksamer Erziehungsstrategien
- Schulische Interventionen: Anpassungen im Lernumfeld
- Medikamentöse Behandlung: Bei Bedarf zur Unterstützung der Aufmerksamkeitsregulation
Entscheidung über Medikation
Die Frage der Medikation beschäftigt viele Eltern. Wichtig ist:
- Es gibt keine pauschale Antwort – die Entscheidung sollte individuell getroffen werden
- Lassen Sie sich ausführlich von einem spezialisierten Arzt beraten
- Informieren Sie sich über Wirkungen und mögliche Nebenwirkungen
- Eine Medikation ersetzt nicht andere Unterstützungsmassnahmen
- Die Entscheidung kann jederzeit überprüft und angepasst werden
Familiendynamik beachten
ADHS betrifft das gesamte Familiensystem und kann die Beziehungen beeinflussen.
Geschwister einbeziehen
Geschwister von Kindern mit ADHS benötigen besondere Aufmerksamkeit:
- Erklären Sie altersgerecht, was ADHS bedeutet
- Schaffen Sie regelmässige Zeiten für jedes Kind einzeln
- Achten Sie auf ausgewogene Regeln und Verantwortlichkeiten
- Würdigen Sie die besonderen Herausforderungen für Geschwisterkinder
Partnerschaft pflegen
Die Betreuung eines Kindes mit ADHS kann Paarbeziehungen belasten:
- Teilen Sie die Verantwortung fair auf
- Planen Sie bewusst Zeit für die Partnerschaft ein
- Kommunizieren Sie offen über Belastungen und Bedürfnisse
- Zögern Sie nicht, bei Bedarf Paarberatung in Anspruch zu nehmen
Selbstfürsorge nicht vergessen
Ihre eigene psychische und körperliche Gesundheit ist die Grundlage, um Ihr Kind gut unterstützen zu können.
- Bauen Sie bewusst Erholungsphasen in Ihren Alltag ein
- Pflegen Sie eigene Interessen und soziale Kontakte
- Setzen Sie realistische Erwartungen an sich selbst
- Nehmen Sie bei Bedarf professionelle Unterstützung in Anspruch
Fazit: Schritt für Schritt vorgehen
Die Zeit nach der ADHS-Diagnose kann überwältigend sein. Versuchen Sie nicht, alles auf einmal zu ändern. Konzentrieren Sie sich zunächst auf die drängendsten Herausforderungen und gehen Sie dann Schritt für Schritt vor.
Denken Sie daran: Mit dem richtigen Wissen, passender Unterstützung und viel Liebe kann Ihr Kind mit ADHS ein erfülltes, erfolgreiches Leben führen. Viele der Eigenschaften, die mit ADHS verbunden sind – wie Kreativität, Energie und unkonventionelles Denken – können zu besonderen Stärken werden, wenn sie richtig gefördert werden.